RS: Wie entstand die Idee zum Projekt „Wir Zukunft“ und wie fanden Sie Ihre Partner? MLK; KN: Die Kliniken des Landkreises Lörrach haben uns gefunden. Die Geschäftsführung hat sehr früh erkannt, dass Personalentwicklung eine wichtige Stellschraube zur Sicherung von Zukunftsfähigkeit ist und dass mit guten Angeboten eine Bindung der Beschäftigten ans Unternehmen erzeugt wird.
RS: Welche Fähigkeiten benötigen Beschäftigte neben rein fachlichen Qualifikationen, um solche Personalentwicklungsprozesse im Krankenhaus aktiv mit zu gestalten? MLK; KN: Sie brauchen Raum zur Begegnung, zum Austausch außerhalb der Arbeitsthemen und die Möglichkeit des gemeinsamen Lernens und des Entdeckens von Gemeinsamkeiten und Stärken, über Berufsgruppen- und Hierarchiegrenzen hinweg. Diesen Raum hat das Projekt „Wir Zukunft“ geboten. Zum einen wurde ihnen so bewusst, welche Kompetenzen sie bereits besitzen und wie wertvoll ihre Arbeit ist. Zum anderen haben sie einen ganzheitlichen Blick auf das Unternehmen geworfen. Daraus entsteht ein Bewusstsein für Veränderungsmöglichkeiten und neue Lernanlässe, um Kompetenzen zu erweitern. Hierzu zählen z.B. Kommunikationsfähigkeiten im Umgang mit Veränderungen sowie interkulturelle Kompetenzen in der Vielfalt der Belegschaft und Patienten. Die Teilnehmenden wurden für ein offeneres, reflektiertes und konstruktiveres Zusammenarbeiten sensibilisiert und mit entsprechendem Handwerkszeug/Methoden und Instrumenten ausgerüstet. Nicht zuletzt fand dadurch eine Veränderung der eigenen Arbeitshaltung statt.
RS: Welche Maßnahmen setzte „Wir Zukunft“ zur Erreichung der Projektziele um? MLK; KN: 220 Mitarbeiter/innen (10% der Belegschaft) wurden ganzheitlich zu fünf Modulthemen qualifiziert und in ihrer Rolle als Multiplikatoren geschult. Die Projektaktivitäten wurden intern kontinuierlich kommuniziert, z.B. durch den regelmäßig erscheinenden Newsletter des Hauses. Extern sollen die Projektinhalte und (Zwischen-)Ergebnisse der Begleitforschung publiziert werden. Der Austausch mit der Fachwelt fand zuletzt mit der
Transferveranstaltung in Freiburg seinen Höhepunkt, in der das Ziel der Nachhaltigkeit und des Branchentransfers umgesetzt wurde. Durch die Einbindung der Führungskräfte und des Betriebsrates wurden die Projektinhalte und -entwicklungen regelmäßig diskutiert und zu allen Standorten und Abteilungen der beteiligten Krankenhäuser transferiert. Eine weitere sehr wertvolle und mittlerweile verstetigte Maßnahme stellt das
Café 4 dar - eine Kommunikationsplattform für alle Beschäftigten der Lörracher Kreiskliniken; von den „Wir Zukunft“-Teilnehmenden selbst ins Leben gerufen. Dort können sowohl arbeitsspezifische als auch -übergreifende Themen besprochen werden. Nicht zuletzt leistet das Café 4 (4 steht für die vier Standorte der Lörracher Kliniken) einen wichtigen Beitrag zum Zusammenwachsen der Standorte nach dem letzten Zusammenschluss, welcher 2018 zwischen den Kreiskliniken Lörrach und dem St. Elisabethen Krankenhaus Lörrach stattfand.
RS: Am 11. Juli 2019 fand in Freiburg Ihre Transferveranstaltung statt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus den drei Jahren Projektlaufzeit und aus der Begleitforschung? MLK; KN: Zunächst einmal konnte der große Mehrwert von geförderten Personalentwicklungsprojekten und der Nutzen des Investments in Personalentwicklung bestätigt und nachgewiesen werden. Zeit (in Form von Freistellung), innere und äußere Haltung und die Überzeugung und Akzeptanz der Maßnahmen sind dabei besonders wichtige Ressourcen und Voraussetzungen für erfolgreiche und nachhaltige Ergebnisse. Die zentrale Erkenntnis ist, dass Personalentwicklung stark mit Organisationsentwicklung zusammenhängt und eng verzahnt sein sollte, damit Veränderungen erfolgreich (für Unternehmen/Arbeitgeber und Beschäftigte) und nachhaltig sein können. Die Führungskräfte nehmen, was die Akzeptanz und das Vorleben von Veränderungsoffenheit angeht/betrifft, eine zentrale (Vorbild-)Funktion ein. Der heterogene Schulungsansatz, bei dem sich Mitarbeiter/innen aller Berufsgruppen und Hierarchieebenen begegnen, ist für ein ganzheitliches Verständnis von Veränderungen und für eine Festigung interprofessioneller Zusammenarbeit besonders wichtig. Engagierte und motivierte Mitarbeiter/innen und klare Strukturen für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit sind dabei die Basis für ein erfolgreiches Projekt.
RS: Wie geht es nun weiter mit der Personalentwicklung in den Kliniken? MLK; KN: Der Bereich der Personalentwicklung wurde personell aufgestockt; die Arbeit am Personalentwicklungskonzept geht kontinuierlich weiter; so wie auch die Arbeit an den Unternehmenswerten als Basis. Einzelne Modulthemen des Projektes werden - peu á peu - in das Personalentwicklungskonzept überführt. Und was uns besonders freut: Das im Projektrahmen von den Teilnehmenden selbst initiierte Café 4 wird von ihnen fortgeführt.
RS: Die ESF-Sozialpartnerrichtlinie zielt auch insbesondere auf eine nachhaltige Sicherung von Erkenntnissen. Sehen Sie Möglichkeiten für einen Transfer der erfolgreichen Ansätze des Projekts in andere Regionen, Branchen oder (Weiterbildungs-)Strukturen hinein? MLK; KN: Die Möglichkeit zum Transfer sehen wir als absolut gegeben, da zunächst die Ausgangslage der Lörracher Kliniken (Fachkräftemangel, Kommunikationsdefizite, keine strukturelle Einbettung von Veränderungen, kulturelle Vielfalt/ Diversity) denen anderer Häuser sehr ähnlich ist – die meisten Krankenhäuser stehen vor den gleichen Herausforderungen und müssen ihr Personal auf Veränderungen vorbereiten und sie für einen guten Umgang damit fit machen/qualifizieren. Es wurde deutlich, dass durch das in „Wir Zukunft“ erprobte, in 12 Gruppen durchgeführte und wissenschaftlich erforschte Schulungskonzept wichtige Kompetenzen vermittelt werden, welches den Beschäftigten ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. Gleichzeitig fühlen sich die Mitarbeitenden durch das Angebot der Teilnahme sehr wertgeschätzt in ihrer Funktion und als Person. Dies führt zu erhöhtem Engagement und einer größeren Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Auch die interprofessionelle und hierarchieübergreifende Zusammenarbeit wird auf diese Weise gefördert und an andere Kolleginnen und Kollegen weitergegeben. Es findet ein Kulturwandel statt, der die Haltung und die personellen Kompetenzen der Beschäftigten verändert– kontinuierlich und über das Projekt hinaus. Zudem steigt die Akzeptanz für Lernen und Personalentwicklung, was zu einer größeren Agilität des Unternehmens beiträgt.
RS: Welche Rolle spielt die Personalentwicklung in Krankenhäuser ihrer Meinung nach insgesamt? Wie können sich Krankenhäuser zukunftsfähig aufstellen? MLK; KN: Die Personalentwicklung spielt in unserer heutigen Gesellschaft eine enorm wichtige Rolle, insbesondere in der Gesundheitsbranche und in Krankenhäusern. Diese sind weiterhin vom Fachkräftemangel betroffen und haben Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu rekrutieren und dieses langfristig zu binden. Die Ausgestaltung und Umsetzung von Personalentwicklung ist ein wichtiges Element in der Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgeber. Damit einher gehen wichtige Fördermöglichkeiten, die Beschäftigte durch professionelle und zukunftsfähige Personalentwicklungsstrukturen zur Verfügung stehen und zur Attraktivität eines Arbeitgebers beitragen. Führungskräfte sind hier ganz besonders aufgefordert, das eigene Profil und Aufgabenfeld um die Mitarbeiter/innenförderung zu erweitern, um den bestmöglichen Behandlungserfolg für die Patienten zu erzielen und um den Beschäftigten Weiterentwicklung, neue Herausforderungen und gleichzeitig Sicherheit bieten zu können. Darüber hinaus werden die Mitarbeiter/innen für die Notwendigkeit des lebensbegleitenden Lernens in instabilen und sich schnell wandelnden Zeiten sensibilisiert. Motivation und Flexibilität sind dabei genauso wichtig wie Engagement und die Bereitschaft, zu lernen und nicht auf der Stelle zu treten, sich selbst, die eigene Arbeit und die der Team-Kollegen zu reflektieren und in einer konstruktiven und werteorientierten Art miteinander zu kommunizieren und zu arbeiten. Personalentwicklung trägt dazu bei, dass überholte Strukturen aufgebrochen werden und sich eine Veränderungskompetenz entwickeln kann.
RS: Vielen Dank!
RS: Regiestelle Fachkräfte sichern; MLK, KN: Marie Luise Koch, Katharina Nicolai