Digitalisierung, Gleichstellung und Personalentwicklung

Datum
29.10.2020

In "GleichHOCH4", einem Projektverbund von HeurekaNet - Freies Institut für Bildung, Forschung und Innovation e.V. und dem DGB-Bildungswerk NRW e.V., arbeiten Personalräte, Gleichstellungsstellen sowie Arbeitgebervertretungen an Hochschulen für das wissenschaftsunterstützende Personal Hand in Hand. Das Projekt entwickelt im Rahmen der ESF-Sozialpartnerrichtlinie "Fachkräfte sichern" Gestaltungsinstrumente, um den Veränderungen und Anforderungen durch die Digitalisierung an Hochschulen begegnen zu können.

Für die Zielgruppe, das wissenschaftsunterstützende Personal, stehen dabei die Qualifizierung und Stärkung in Fragen der Gleichstellung sowie das Sichtbarmachen und die Wertschätzung ihrer Arbeit im Mittelpunkt.

Die Regiestelle "Fachkräfte sichern" hat den Leiter des Projekts, Andreas Schulte-Hemming von HeurekaNet, zu dem Projekt befragt.

In Ihrem Projekt "GleichHOCH4" sprechen Sie schon in der Projektbeschreibung von einem Spannungsfeld der Digitalisierung und der Gleichstellung. Und auch Ihre Erfahrungen im Projekt belegen, mit welchen Friktionen und Ungleichheiten das wissenschaftsunterstützendePersonal zu tun hat. Worin liegen Ihres Erachtens die besonderen Herausforderungen für das Projekt?

Seit mehreren Jahren haben Hochschulen mit Transformationsprozessen zu tun, die wir allgemein unter Digitalisierung der Arbeitswelt verstehen. Waren es anfangs einzelne Bausteine, sprechen wir heute von einer allumfassenden Transformation, die alle Bereiche der Hochschule erfassen soll, z.B. Stichwort "Campus-Management-System". "Soll" deshalb, weil die Hochschulen in der Breite von einem allumfassenden Digitalisierungsprozess noch weit entfernt sind und es kann auch nicht von einem einheitlichen Entwicklungsstand gesprochen werden, geschweige denn von einer einheitlichen Strategie. Wir haben es also mit einer sehr unterschiedlichen Hochschullandschaft zu tun.
Für unsere Zielgruppe im Projekt, das sogenannte wissenschaftsunterstützende Personal oder Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung, deren Arbeitsbereiche grob vereinfacht jenseits der Wissenschaft und Lehre liegen (die Verwaltung in den Fachbereichen, der zentralen Hochschulverwaltung, der Labore, der Prüfungsbüros u.v.a.m.), ist folgende Ambivalenz relevant:
Auf der einen Seite stehen die technischen Lösungsversprechen von Digitalisierungsprozessen im Vordergrund, die auf die Entlastung und mehr Effizienz bei der Bewältigung des hohen Arbeitsaufkommens abzielen; letztlich geht es auch um Einsparung von Arbeitszeit. Auf der anderen Seite bedeuten die Einführung neuer Technik und Systemumstellungen für die Beschäftigten häufig zunächst eine zusätzliche Belastung, da neue Routinen erlernt werden müssen und in der Einführungsphase mit technischen Störungen bzw. Fehlern umgegangen werden muss.

Darin scheint sich die Organisation Hochschule nicht von anderen Organisationen, Betrieben zu unterscheiden - ist diese Einschätzung richtig?

Richtig. Eine Besonderheit ist eher der Umgang mit dieser Ambivalenz. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse zweier Studien: In einer 2019 veröffentlichen Studie zum Stand der Digitalisierung an Hochschulen (Gilch et al. 2019), die unter deutschen Hochschulleitungen durchgeführt wurde, werden den Beschäftigten in der Verwaltung relativ zu den anderen Personengruppen wie z.B. dem wissenschaftlichem Personal eine ablehnende Einstellung und ungenügende Grundqualifikationen für die Digitalisierung bescheinigt.
Die Ergebnisse der Forschungsgruppe um Ulf Banscherus (Banscherus et al. 2017), eine der sehr seltenen Studien zu diesem "veränderungsunwilligen" und "unqualifizierten" Personal, zeigen ein anderes Bild: rund 60% der Befragten begrüßen eine zunehmende Umstellung von Verwaltungsprozessen auf elektronische Medien und 65% nehmen regelmäßig an Weiterbildungsveranstaltungen teil.
Die Studie weist aber auch deutlich darauf hin, dass die Einführung neuer Technik und Systemumstellungen nicht nur eine Bereitschaft der Beschäftigten zur Innovation und Weiterbildung bedarf, sondern auch Angebote der Hochschule, das wissenschaftsunterstützende Personal in dem Transformationsprozess zu unterstützen. Und da hapert es vielfach.
In den Interviews der Banscherus-Studie wird dargelegt, wie schwierig es für die Beschäftigten ist Angebote zu finden, die dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und bei den konkreten Anforderungen und Problemen weiterhelfen. Es wird sich mehr Unterstützung durch die Hochschulleitung und durch Vorgesetzte gewünscht, die sich neben der Verbesserung der personellen Situation im Arbeitsbereich und dem Gewähren von Weiterbildungsmöglichkeiten auch in einer stärkeren Aufmerksamkeit äußern sollte. Diesen Sachverhält bestätigen auch die seit Jahren regelmäßig durchgeführten Forschungen zu den Hochschulen in NRW (Kortendiek et al. 2019).
Wir sprechen hier von 45 bis 60% des Gesamtpersonals an Hochschulen, ungefähr 220 Tsd. bundesweit, davon sind 70% Frauen, ausgenommen natürlich die Leitungsebenen. Wie in der Altenpflegebranche haben wir es mit einer Frauendomäne zu tun, die mit einer schlechten Lobby zu kämpfen hat. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich deshalb auch der Begriff des "unsichtbaren Personals". Und davon sind auch die 30% Männer betroffen.

Schaubild Wertschätzung
© Banscherus u.a., Hans-Böckler-Stiftung

Findet sich dieses Bild der fehlenden Wahrnehmung auch in Ihren Erfahrungen innerhalb des Projekts wieder?

Die zahlreichen Gespräche mit Beschäftigten aus der Verwaltung oder technischen Assistenz, den Gleichstellungsbeauftragten und Personalräten bestätigen diesen Eindruck. Wir sehen die vertikale Geschlechtersegregation entlang der Statusgruppen und eine soziale Segregation entlang der Trennlinie zur Wissenschaft und Lehre.

Das ist doch aber sicherlich nicht an allen Hochschulen so?

Nein, es gibt durchaus gute Beispiele, auch gibt es selten ein klares Schwarz-Weiß, aber als Wahrnehmungs- und Bewertungsstruktur ist es (fast) überall zu spüren und auch festzustellen. So mussten wir erfahren, dass die Gewinnung von Hochschulen zur Projektbeteiligung in einigen Fällen an der beschriebenen fehlenden Aufmerksamkeit und der Bereitschaft der Hochschulleitung, in unsere Zielgruppe zu investieren, scheiterte.

Gibt es gute Beispiele, Ansätze im Projekt, die auch übertragbar wären?

Sogar mehrere, hier vier Beispiele, die dazu beitragen, dass das wissenschaftsunterstützende Personal die Aufmerksamkeit und Unterstützung erfährt, die es verdient.

An einer unserer Pilot-Hochschulen haben sie erkannt, dass die Einführung von neuen Digitalisierungsprozessen mit Beteiligung und Vorbereitung auf diese Veränderungen sowie neuen Anforderungen verknüpft sein muss. Hier haben sich durch unsere Initiative und Unterstützung verschiedene Fach- und Arbeitsbereiche innerhalb der Hochschule, wie das Dezernat Personal, der Personalrat, zentrale Gleichstellungsbeauftragte, das Betriebliche Gesundheitsmanagement u.a.m. mit dem Ziel zusammen gesetzt, für die Beschäftigten in Technik und Verwaltung mit Hilfe eines digitalen Kompetenzrahmens und einer Mitarbeiterbefragung zu vorhandenen Kompetenzen und Bedarfen zielgruppenorientierte Fort- und Weiterbildungsangebote zu erstellen und durchzuführen. Denn bisher, so wurde in den Workshops deutlich, hatte Kompetenzförderung und gezielte berufliche Weiterentwicklung für unsere Zielgruppe keinen oder nur einen geringen Stellenwert.

Bei einer anderen Hochschule arbeiten wir eng mit Vertreterinnen der Gleichstellung und des Personalrats zusammen. Inhalt der Workshops ist die Qualität und Erhöhung der Wirkung von Gleichstellungsplänen und seinen Maßnahmen für das wissenschaftsunterstützende Personal. Das Ziel ist der Aufbau einer bundesweiten Datenbank mit Beispielen guter Praxis.

An der gleichen Hochschule führen wir eine Befragung bei den Beschäftigten in der Verwaltung zu ihren Erfahrungen mit Homeoffice und ihren Erwartungen daran durch. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen an die Hochschulleitung. Darüber hinaus werden diese Empfehlungen in Handreichungen und Dienstvereinbarungen eingehen.

Eine Besonderheit stellt die Kooperation mit dem bundesweiten Hochschul-Sekretariatsnetzwerks dar, die wir bei der Vorbereitung und Durchführung der jährlich stattfindenden Bundestagung (verschoben auf 2021) mit dem Thema "Arbeit sichtbar machen" unterstützen.

Am Ende halten wir immer transferierbare Produkte in den Händen, die sicherlich hochschulspezifisch angepasst werden müssen, aber den weiteren interessierten Hochschulen eine Menge Arbeit erspart.

Im Artikel erwähnte Studien:

Banscherus, U., Baumgärtner, A., Böhm, U., Golubchykova, O., Schmitt, S. & Wolter, A. (2017): Wandel der Arbeit in wissenschaftsunterstützenden Bereichen an Hochschulen. Hochschulreformen und Verwaltungsmodernisierung aus Sicht der Beschäftigten, Study Nr. 362 der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=7909

Gilch, H., Beise, A. S., Krempkow, R., Müller, M., Stratmann, F. & Wannemacher, K. (2019): Digitalisierung der Hochschulen. Ergebnisse einer Schwerpunktstudie für die Expertenkommission Forschung und Innovation: Berlin: Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)
https://www.e-fi.de/daten-und-informationen/indikatorenstudien/2019/

Kortendiek, B., Mense, L., Beaufaÿs, S., Bünnig, J., Hendrix, U., Herrmann, J., Mauer, H. & Niegel, J. (2019): Gender-Report 2019. Geschlechter(un)gerechtigkeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen. Hochschulentwicklungen, Gleichstellungspraktiken, Gender Pay Gap. Studien Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 31. Essen.
http://www.genderreport-hochschulen.nrw.de/gender-report-2019/downloads

Kontakt zum Projekt:

Andreas Schulte-Hemming
HeurekaNet - Freies Institut für Bildung, Forschung und Innovation e.V.
Windthorststr. 32
48143 Münster
Email: schulte_hemming@heurekanet.de
Telefon (Büro): 0251 39995942
Web: https://www.heurekanet.de

Marcel Siepmann
DGB-Bildungswerk NRW e.V.
Projektbüro Recklinghausen
Dorstener Str. 27a
45657 Recklinghausen
Email: msiepmann@dgb-bildungswerk-nrw.de
Telefon (Büro): 02361 90638-13
Web: https://www.dgb-bildungswerk-nrw.de

Das ESF-Programm "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern"

Mit der ESF-Sozialpartnerrichtlinie "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern" unterstützt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Anstrengungen der Sozialpartner und betrieblichen Akteure bei der Fachkräftesicherung und Anpassung an den demografischen und technologischen Wandel. Das Programm wurde in enger Abstimmung mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) entwickelt, begleitet und umgesetzt. In der laufenden ESF-Förderperiode 2014-2020 sind im Rahmen der Sozialpartnerrichtlinie bisher bundesweit rund 172 Projekte gestartet. Über 30.000 Beschäftigte und rund 2.200 KMU konnten bereits von den Maßnahmen profitieren. Über die direkte Arbeit in Betrieben und mit ihren Beschäftigten zielen die Projekte auf den Ausbau nachhaltiger Weiterbildungsstrukturen in Unternehmen und die Verbesserung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt. Die Regiestelle "Fachkräfte sichern", eine Arbeitsgemeinschaft des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) und des DGB Bildungswerks, begleitet die organisatorische und inhaltliche Umsetzung der Initiative.

Bis Ende 2019 konnten über 28.000 Personen und 1.900 KMU unterstützt werden.

Weitere Informationen zum ESF-Programm "Fachkräfte sichern" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der https://www.initiative-fachkraefte-sichern.de/.

Kontakt: info@regiestelle-fachkraefte-sichern.de

Auszug aus dem ESF-Newsletter